Wer davon betroffen und was nun zu tun ist

Mit der Richtlinie 2102 aus dem Jahr 2016 hat die Europäische Union einen wichtigen Schritt in Richtung von mehr Barrierefreiheit in digitalen Medien vollzogen. Beginnend mit dem 23. September 2018 müssen alle öffentlichen Stellen ihre digitalen Angebote schrittweise barrierefrei, das heißt für alle Menschen – unabhängig von ihren körperlichen und geistigen Fähigkeiten – zugänglich machen.

Die nationale Umsetzung der Richtlinie in Deutschland erfolgt durch Änderungen des Bundesgleichstellungsgesetzes (BGG).

Ziel ist die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen am gesellschaftlichen Leben – eine Forderung, die sich aus der UN-Behindertenrechtskonvention aus dem Jahr 2006 ableitet.

Welche Anbieter fallen unter den Begriff "Öffentliche Stellen"?

Die seit 2011 gültige BITV 2 (Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung) betrifft im wesentlichen Institutionen des Bundes. Auf Ebene von Ländern und Kommunen war dies bislang uneinheitlich geregelt.

Über die Richtlinie 2102 wird dies nun EU-weit harmonisiert und der Geltungsbereich deutlich ausgeweitet: Unter „öffentliche Stellen“ werden staatliche Stellen, Gebietskörperschaften, Verbände mehrerer Gebietskörperschaften und Einrichtungen des öffentlichen Rechts verstanden. Alle Organisationen, denen vom Staat hoheitliche Aufgaben übertragen werden, sind somit künftig zur digitalen Barrierefreiheit verpflichtet.

Ganz konkret - eine (sicherlich unvollständige) Liste:

  • Zweckverbände, z.B. Anstalten zur Straßenreinigung und zur Abführung von Abwässern und Abfällen
  • Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, Rechtsanwalts- und Ärztekammern, Berufsgenossenschaften und Innungen
  • Gesetzliche Krankenkassen, kassenärztliche Vereinigungen
  • Sparkassen, staatliche Vermögensverwaltungen / Finanzdienste
  • Hochschulen, Universitäten, Fachhochschulen
  • Schulen und Kindertagesstätten (nur in Bezug auf Online-Verwaltungsfunktionen)
  • Sozialversicherungen
  • Öffentlicher Nahverkehr
  • Landschaftsverbände
  • Stiftungen
Die Zahl neuer Institutionen, die künftig barrierefreie digitale Dienste anbieten müssen, steigt damit erheblich an und erzeugt neuen Handlungsdruck!

Was ist mit „digitalen Angeboten“ gemeint?

Digitale Angebote im Sinne der Richtlinie sind:

  • Webbasierte Angebote (einschließlich Intranet und Extranets)
  • Native mobile Anwendungen
  • Dateiformate von Büroanwendungen (Office-Dokumente sowie PDFs)

Gleichstellung am Arbeitsplatz: veraltete Intranets und Extranets mit Nachholbedarf?

Während bei öffentlich verfügbaren Websites in den letzten Jahren durchaus Fortschritte hinsichtlich Barrierefreiheit sichtbar werden, ist dies für Intranets und Extranets von außen schwer zu beurteilen. Da hier aber oft recht alte Systeme mit hohem Grad an individualisierten Funktionen im Einsatz sind, liegt die Vermutung nahe, dass hier besonders hoher Nachholbedarf herrscht. Gerade im Hinblick auf Gleichstellung am Arbeitsplatz könnten die nächsten Jahre diesbezüglich interessant werden.

Die unsichtbaren Elefanten im Raum: Office-Dokumente und PDFs

Unsere jüngsten Stichproben zur Barrierefreiheit von PDFs waren ernüchternd: Kein einziges PDF, das wir per Zufallsprinzip heruntergeladen und untersucht haben, war auch nur annähernd barrierefrei.

Was aber, wenn eine Industrie- und Handelskammer oder eine Krankenkasse ihre Formulare als nicht barrierefreie PDFs bereitstellt? Hierzu sieht die Richtlinie verschiedene Kontrollmechanismen vor.

Die Kontrolle: Vermutung der Konformität

Wie gut die Kontrolle der Einhaltung in der Praxis funktioniert, wird zu sehen sein. Grundsätzlich gilt die „Vermutung der Konformität“, das heißt, man geht davon aus, dass Barrierefreiheit gegeben ist. Ein digitaler Dienst muss also nicht vorab von einer Prüfstelle zertifiziert werden.

Die Richtlinie sieht folgende Bestandteile vor:

  1. Betreiber einer Website geben zunächst eine „Eigenerklärung zur Konformität“ ab.
  2. Sie müssen außerdem eine Möglichkeit bieten, Beeinträchtigungen der Nutzbarkeit öffentlich zu kommentieren.
  3. Nutzer haben ihrerseits die Möglichkeit, sich bei einer Kontrollinstanz über den Betreiber zu beschweren. Hierzu gibt es ein „Durchsetzungsverfahren“, wenn der Betreiber keine zufrieden stellende Antwort gibt.

Die EU-Kommission bestimmt spätestens zum 23.12.2018 Methoden zur Überwachung der Einhaltung: Diese müssen u.a. transparent und vergleichbar sein und könnten Anforderungen beinhalten zu Häufigkeit der Prüfung und Auswahl der Stichproben. Ab dem 23.12.2021 müssen die Mitgliedsstaaten alle 3 Jahre an die Kommission berichten.

Für die Kontrolle in Deutschland wird eine Überwachungsstelle bei der Bundesfachstelle Barrierefreiheit eingerichtet.

Gestaffelte Fristen: Bis wann muss alles barrierefrei sein?

  1. 23. SEP 2018 23. September 2018
    • Websites, Office-Dokumente und PDFs, die nach dem 23.9.2018 neu veröffentlicht werden, müssen ab dem 23. September 2019 barrierefrei gestaltet sein.
    • Dies gilt ebenso für bereits existierende PDFs und Office-Dokumente, aber nur dann, wenn sie für „aktive Verwaltungsverfahren“ erforderlich sind und genutzt werden.
    • Ein „aktives Verwaltungsverfahren“ könnte beispielsweise ein Merkblatt für die Anmeldung eines Gewerbebetriebs sein. Oder ein interaktives Antragsformular bei einer Krankenkasse, Stiftung oder Bank des öffentlichen Rechts.
  2. 23. September 2019
    • Websites für geschlossene Nutzergruppen (Intranets und Extranets), die ab diesem Datum neu veröffentlicht werden, müssen barrierefrei sein. Ältere Sites dieser Typen betrifft dies erst dann, wenn sie grundlegend überarbeitet werden.
  3. 23. September 2020
    • Für öffentliche Websites, die bereits vor dem Stichtag 23. September 2018 gelauncht wurden, gilt der Stichtag 23.9.2020.
    • Aufgezeichnete Audio- und Videodienste (nicht live gesendet) müssen ab diesem Tag barrierefrei sein.
  4. 23. Juni 2021
    • Native (nicht webbasierte) mobile Applikationen müssen bis zu diesem Stichtag ebenfalls in barrierefreier Weise verfügbar sein.
Ausgenommene Angebote

Ausdrücklich ausgenommen von den Anforderungen der Richtlinie 2102 sind folgende Dienste:

  • Öffentlich-rechtlicher Rundfunk
  • Livestreams von Audio und Video
  • Angebote von Nichtregierungsorganisationen, die keine für die Öffentlichkeit wesentliche Dienstleistung erbringen
  • Websites von Schule oder Kindergärten, es sei denn, diese enthalten Online-Verwaltungsfunktionen
  • Historische kulturelle Archive
  • Ältere Websites und Apps mit reiner Archivfunktion (keine Aktualisierung)
  • Nicht barrierefreie Funktionalitäten, zu denen eine parallele barrierefreie Alternative existiert, sind zwar nicht erwünscht, aber in Ausnahmefällen erlaubt.

Digitale Barrierefreiheit ist keine Raketenwissenschaft. Was Sie aber brauchen, ist ein Dienstleister, der die ganze Strecke, von Konzeption, Design bis hin zur Realisierung und Qualitätssicherung zuverlässig und kompetent abdeckt. d-SIRE besitzt seit 2002 Erfahrung mit digitaler Barrierefreiheit und hat dies vielfach in großen Projekten – unter anderem für die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Aktion Mensch und die Deutsche Rentenversicherung – unter Beweis gestellt.

Link zur Aktion Mensch Website
Link zu BZGA Website
Link zur Website der Deutschen Rentenversicherung